[Juni 2024] Der besondere Charme meiner portugiesischen Herzensweinregion (Dão) zieht kreative Weinmacher aus dem Ausland (Frankreich, Brasilien, Schweiz, Norwegen) an, die mit einer spannenden Mischung aus Tradition und Erneuerung dem Weinbaugebiet reichlich neue Impulse geben. Teil einer regelrechten "Graswurzelrevolution" sind das französische Winzerpaar Charlotte Hugel und Paul Chevreux.
Kennengelernt habe ich die beiden letztes Jahr im Michelin-prämierten Restaurant Flora (Food & Wine) in Viseu. Geerdete Vollblut-Weinmacher (Charlotte ist Teil der 13. Generation der elsässischen Hugel-Weindynastie), unprätentiös, sympathisch, nahbar. Die beiden haben sich gegen das Burgund, gegen das Elsass und für den Dão entschieden, weil sie überzeugt sind, in der Region "den besten Wein Portugals" erzeugen zu können. Meine Verabredung startete in den Weinbergen am Fuße der Serra do Caramulo, wo mir Paul ausführlich seine Philosophie des Rebschnitts und der Reberziehung vorstellte ...
Die insgesamt lediglich 3 ha Rebfläche verteilt sich auf insgesamt 12 Parzellen, die das Paar gepachtet hat und organisch bewirtschaftet. Vorzeigeweingärten mit Charme und natürlich reichlich Bewuchs zwischen den Rebstöcken. Biodiversität pur! Paul lässt die Böden durch sein mehrere hundert Kilo schweres Ackerpferd Bonita bearbeiten. "Also können meine Weine niemals vegan sein", schmunzelt der Winzer. Aufs Tierwohl wird dabei streng geachtet. Das Pferd arbeitet niemals länger als maximal drei Stunden am Tag, um es nicht zu überlasten. Die Böden der Parzellen sind ebenso vielseitig wie die Rebsorten, die häufig im Mischsatz gepflanzt sind: Granit, Schiefer, Schluff.
Besonders viel Enthusiasmus hegt Paul für seine einzeln wachsenden Gobelet-Rebstöcke, deren Wuchsform an die namensgebenden Pokale erinnert. Bei den Spalieren bevorzugt er eine hochwüchsige Erziehungsvariante für eine gute Durchlüftung der Pflanzen. Mit viel Handarbeit hat er einige seiner Parzellen bereits mit neuen Pfählen und einer zusätzlichen oberen Reihe Spanndraht in seinem Sinne auf Vordermann gebracht. Ungewöhnlich: Die Triebspitzen schneidet Paul nicht zurück, sondern bindet sie zusammen. Dadurch wird das Wurzelwachstum gefördert und ein ausgewogenes Verhältnis von jungem und älterem Blattwerk sichergestellt. Jede Parzelle ein kleines Paradies für sich - eingerahmt von Pinien, Kiefern, Steineichen und Olivenbäumen.
Nach dem ausgiebigen Besuch der Weinberge ging es zur Quinta da Roda da Quintã, ein altes Herrenhaus, gelegen im Ortskern von Farminhão (Viseu). Das Herrenhaus mit angeschlossener Adega sind die beiden Stück für Stück am Renovieren ...
In der Adega gibt es jede Menge alte Betontanks und zwei große Granitbecken, in denen die Trauben mit den Füßen gestampft werden. Hier stehen auch zwei robuste, mechanische Pressen. Der Weinkeller ist nach dem Schwerkraftprinzip konzipiert, so dass ein mechanisches Umpumpen nicht notwendig ist.
Paul liebt es, seine Weine in Holzfässern auszubauen, von denen knapp 50 Stück im rustikalen Keller stehen. Gebrauchte Fässer aus Frankreich, die bereits mehrfach belegt waren, aber für den Jahrgang 2023 auch erstmals 5 neue Fässer der Tonnellerie Saury und der Fassbinderei Stockinger aus Österreich (also von der absoluten Oberklasse unter den Küfereien). Der Winzer achtet dabei sehr darauf, dass die Aromatik seiner Weine nicht vom Neuholz überlagert wird, was ihm selbst bei seinem filigranen Clarete gelingt.
Das junge Winzerpaar startete mit dem kommerziellen Verkauf ihrer Wein im Jahr 2021. Vom Jahrgang 2021 wurden 3.500 Flaschen, vom 2022er 8.000 Flaschen und vom 2023er 14.000 Flaschen abgefüllt. Ich konnte reichlich Barrel-Samples durchprobieren und war durchweg begeistert sowohl von der Qualität als auch von der Typizität der Weine. Durchweg transportieren die Weine die für die Region charakteristische Finesse und Eleganz.
Die Etiketten der Weinflaschen zieren Motive, die den Kacheln im Herrenhaus sowie der zum Haus gehörenden Kapelle entlehnt sind, was die Verbundenheit zur Region verdeutlicht. Wir hatten jede Menge großartiger Barrel-Samples. Viele der Weine waren für meinen Gaumen bereits absolut trinkreif und der Jahrgang 2023 präsentierte sich durchweg von außergewöhnlicher Qualität. Fantastisch! Charlotte gesellte sich zu uns und wir tauschten uns intensiv über die Region aus und ich konnte viele neue, interessante Gedanken aufschnappen: über den adäquaten Lesezeitpunkt, phenolische Reife, Vorzüge und Auswüchse der Naturweinszene, die adäquate Entlohnung von Erntehelfern usw. usf. Nachdenklich, meinungsstark, klug - sehr angenehme Gesprächspartner!
Nach dem Besuch der Weinberge und der ausgiebigen Probe im Weinkeller konnte ich die Einladung von Paul & Charlotte, mit ihnen Mittag zu essen, unmöglich ausschlagen. Charlotte hatte am Wochenende ein ganzes Wildschein erstanden, und so gab es als perfekte Kombination mit dem Tinto 2022 eine saftige Keule vom Javali aus dem Ofen. Yummy!!!
Tinto 2022: Zu 90 % Touriga Nacional, mit Jaen und Tinta Roriz. Zwei Wochen Maischegärung mit Remontage, danach ein Jahr in gebrauchten Eichenfässern gereift. Beerenfrucht, etwas Eukalyptus, fein eingebundene Tannine, ausbalanciert mit dem gewissen Etwas. 13 % Vol. Was für ein Pairing!
Nach dem Essen haben wir im Hof noch etwas rumgealbert. Herausgekommen ist ein Familienfoto mit Weinbergshund Callie, der das Fotoshooting entgegen dem Anschein ohne gebrochene Rippen überstanden hat, lol. Danke dem sympathischen Winzerpaar für eure Zeit, die anregenden Gespräche bei lecker Javali und leckerem Vinho! In Farminhão entstehen große Weine. Chapeau. Eine echte Bereicherung für die Region!
Clarete 2022: Gemischter Satz aus rund 15 verschiedenen weißen und roten Rebsorten. 24 Stunden lang im Lagar mit den Füßen gepresst. Fermentation und Reifung im gebrauchten Holzfass. Ein wunderbar leicht zugänglicher Wein mit einem mächtigen Gluglu-Trinkfluss, knackiger Säure, feiner Frische. Die Vielschichtigkeit eines Field Blend macht ihn zu einem spannenden Speisebegleiter. Für mich der perfekte Sommerwein mit der perfekten Balance aus Leichtigkeit und Komplexität. 12 % Vol. Saugeiles Zeug!
Clarete Vinhateiro 2022: Ein Verschnitt von Rebsorten, die zwischen 50 und 120 Jahre alt sind. Hergestellt nach traditioneller Art, gereift in gebrauchten Holzfässern. Keine Filtration oder Schönung, Gärung mit natürlichen Hefen. Pauls Claretes kommen leichtfüßig, aber dennoch kraftvoll, feingliedrig-süffig und mit mächtigem Trinkzug daher. Wow! 13 % Vol. Ich liebe den Wein!